Gil Ofarim: der angeklagte Teeniestar (2024)

Es ist eine schwierige Zeit für einen schwierigen Fall. Während jüdisches Leben in Deutschland massiv bedroht ist, wie der Zentralrat der Juden betont, und das Land hitzig über Antisemitismus debattiert, steht ein Jude vor Gericht, der einen antisemitischen Vorfall erfunden haben soll. Seit Dienstag läuft in Leipzig der Prozess gegen den 41-jährigen Musiker Gil Ofarim wegen des Vorwurfs der Verleumdung und der falschen Verdächtigung.

Der deutsche Musiker machte vor zwei Jahren mit einem emotionalen Instagram-Video Schlagzeilen. Darin hockt er vor dem Leipziger Hotel Westin auf dem Trottoir und erzählt fassungslos, dass ihm der Check-in verweigert worden sei wegen des Davidsterns, den er an einer Kette um den Hals trägt. Das Video, vier Millionen Mal geklickt, löste grosse Entrüstung aus. Medien weltweit griffen die Story auf. Politikerinnen und Politiker solidarisierten sich schnell. Hunderte demonstrierten vor dem Hotel, das mit Hassanrufen geflutet wurde.

Doch nach wenigen Wochen zerbröselte Ofarims Version der Geschichte. Kein Zeuge liess sich finden, der die Erzählung über den Davidstern bestätigte. Dieser war auch auf Überwachungskameras nicht sichtbar. Vielmehr soll sich der Musiker aufbrausend darüber beschwert haben, dass andere Gäste vorgezogen wurden, die hinter ihm in der Warteschlange standen. An dem Abend kam es wegen technischer Probleme zu Verzögerungen. Dem Rezeptionisten soll er gedroht haben, ein Video über «den Scheissladen» auf Social Media zu posten, er werde das noch bereuen. Nach umfassenden Ermittlungen kam die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass Ofarim bewusst falsch ausgesagt habe. Er hält an seiner Aussage fest, es gilt die Unschuldsvermutung. Am 7.Dezember soll das Urteil fallen.

Sollte Ofarim schuldig gesprochen werden, wäre dies der Tiefpunkt seiner wechselhaften Karriere. Geboren wird er 1982 als Gil Doron Reichstadt; er trägt denselben Künstlernamen wie sein Vater, der israelische Schlagerstar und Musikproduzent Abi Ofarim. Unverhofft wird der 15-Jährige 1997 zum Teenie-Schwarm. Die Jugendzeitschrift «Bravo» wirbt den langhaarigen Blonden in der Münchner U-Bahn für eine ihrer Foto-Lovestorys an. Er spielt darin einen Musiker. Und begeistert die Leserschaft laut «Bravo» so sehr, dass sie in Tausenden Briefen und Anrufen an die Redaktion mehr von Gil fordert. Es folgen Hochglanzposter, Homestory – und ein Plattenvertrag. Noch im selben Jahr schafft es seine Debutsingle in die Charts.

Sollte er wirklich gelogen haben, wäre dies das bittere Ende einer Geschichte, die nur Verlierer kennt.

In Deutschland wird er nie zum richtigen Superstar. Aber in Asien und Australien füllt er mit seinen Pop-Songs die Stadien. Drei Jahre lang ist er dort auf Tournee. Als sein zweites Album floppt, hat er als Teenie-Idol ausgedient. Damit teilt er das Schicksal vieler Kinderstars, die schnell berühmt und bald vergessen werden.

Doch Ofarim macht weiter Musik, er will ein ernsthafter Künstler sein. 2003 tritt er, mittlerweile als Rockmusiker, als Vorgruppe von Jon Bon Jovi im Münchner Olympiastadion auf, was ihm ein moderates Comeback beschert. Er gründet eigene Bands und sichert sich für die nächsten Jahre einen festen Platz im weiten Mittelfeld der deutschen Musiklandschaft. Ab und zu tritt er in kleinen Film- und Fernsehrollen auf, singt in Musicals oder arbeitet als Synchronsprecher.

Zum TV-Promi wird er 2012 dank der RTL-Castingshow «The Voice of Germany», in der er den Viertelfinal erreicht. Fünf Jahre später siegt er in der Tanzshow «Let’s Dance». Auch in Sendungen wie «The Masked Singer», «Schlag den Star» oder «Das grosse Promibacken» macht er mit. Das seien, wie er selber schreibt, nicht alles Wunschrollen gewesen: «Manchmal muss man eben tun, was man tun muss, um seine Familie zu ernähren.» Mit seiner Ex-Frau hat er einen achtjährigen Sohn und eine sechsjährige Tochter.

Antisemitische Beleidigungen begleiten ihn derweil seit seiner Jugend, wie er in früheren Interviews sagte. Als Teenager habe ihm ein Mitschüler erklärt, er gehöre ins KZ Dachau; in seine Schulbank seien Hakenkreuze eingeritzt worden, im Briefkasten habe er Hundekot gefunden. Und nachdem er vor zwei Jahren sein Video veröffentlicht hatte, wurde er beleidigt und bedroht. Rund 130 Verfahren hat die Staatsanwaltschaft deshalb eingeleitet. Kurz vor seinem Prozess sagte er zur «Welt am Sonntag», dass er im Sommer auf offener Strasse zusammengeschlagen worden sei. Sollte er daher wirklich gelogen haben über die Vorfälle vor zwei Jahren, wäre dies das bittere Ende einer Geschichte, die nur Verlierer kennt.